Das Team "Psychoonkologie bewegt" folgte der Einladung der European Association of Neuro-Oncology (EANO) nach Wien, um über die 10-Jahre-Erfahrung von professionell begleiteten und betreuten, körperlichen Aktivitäten mit Hirntumorpatienten zu berichten.
Unter dem Programmpunkt: „Exercise in rehabilitation of patients with brain tumors“ wurden drei Vorträge für die EANO 2022 ausgewählt:
S. Hervey-Jumper: Körperliche Betätigung und Müdigkeit bei Patienten mit Gliom
D. Wiewrodt: 10 Jahre Erfahrung mit überwachten körperlichen Aktivitäten bei Hirntumorpatienten unter professioneller Betreuung
D. Cordier: Übungsauswahl und Spezifikaton zur Optimierung der Lebensqualität bei Patienten mit hochgradigem Gliom
„Es war toll zu sehen, wie beim Vortrag über das Persönliche Trainingsprogramm der Funke auf das internationale Publikum übergesprungen ist und wir manch einen dafür begeistern konnten.
Ich hoffe, dass die EANO 2022 dazu beitragen wird, dass wir uns mit anderen Kollegen aus Europa besser vernetzen und wir so gemeinsam verschiedene Aspekte zur Verbesserung der Lebensqualität für unsere Patienten voranbringen können.“ (Dorothee Wiewrodt)
Nachfolgend hier das Abstract von D. Wiewrodt
Hintergrund: In den letzten Jahren haben immer mehr Studien positive Wirkungen von Bewegung bestätigt, wie z. B. Stimmungsstabilisierung, Verbesserung der Müdigkeit oder bessere körperliche Belastbarkeit. Patienten und Therapeuten befürchten jedoch mögliche schwere Nebenwirkungen und es fehlen evidenzbasierte Empfehlungen für Bewegung bei Hirntumorpatienten.
Methoden: Angeregt durch eine Hirntumorpatientin, die Angst hatte, depressiv zu werden, weil ihr Fitnessstudio ihr das Training verweigerte, initiierten wir mit einem Sportwissenschaftler und Dipl. Trainer ein individuelles Trainingsprogramm für Hirntumorpatienten. In der psychoonkologischen Sprechstunde wurden Hirntumorpatienten über die Möglichkeit des betreuten Trainings aufgeklärt. Das Training umfasste abwechselnd Ausdauer-, Kraft- und Koordinationseinheiten. Um eine Reizüberflutung zu vermeiden und kontrollierte Trainingsbedingungen zu gewährleisten, wurden die Patienten in der Regel 1:1 trainiert. Später haben wir uns auf verschiedene Aktivitäten ausgeweitet, die von einer einzelnen Trainingseinheit bis hin zum regelmäßigen Langzeittraining für einen Marathon reichen. Während eines intensiven Ausdauertrainings wurden die Patienten vorsichtig auf ihre submaximale altersbedingte Herzfrequenz herangeführt. Die Herzfrequenzüberwachung wurde während der gesamten Sitzungen kontrolliert. Im Laufe der Zeitwurden immer mehr Patienten mit einem Fitnesstracker für den Heimgebrauch ausgestattet. Unsere gesammelten Erfahrungen mit diesem hochintensiven Training mündeten in der prospektiven Studie „Mobile with Brain Tumor“ (ClinTrials Nr. NCT05015543) für Glioblastom-Patienten (Beginn im Juli 2020). Neben dem wissenschaftlichen Kontext wurden verschiedene niederschwellige Bewegungsangebote für Hirntumorpatienten, deren Ehepartner und Familien wie Tanzen, Reiten, Wandern, Pilgern oder auch ein einwöchiger Skiausflug angeboten und durchgeführt.
Ergebnisse: Einschließlich der ca. 5.000 Trainingseinheiten mit Personal Trainern sowie der anderen sportlichen Veranstaltungen (z. B. Training im Schneesport usw.) war die körperliche Aktivität bei Hirntumorpatienten immer durchführbar und sicher, und es traten keine unerwünschten Ereignisse wie Stürze, Hirnblutungen oder Bewusstlosigkeit auf. Bei einem Patienten traten während des Trainings drei leichte fokale epileptische Anfälle und während einer Pilgerreise Schwindel auf. Aufgrund der großen Entfernungen und der Unfähigkeit Auto zu fahren, konnten viele Patienten, die an diesem einzigartigen Programm sehr interessiert waren, nicht teilnehmen.
Schlussfolgerung: In einer kontrolierten, betreuten Umgebung waren sowohl verschiedene niedrigschwellige körperliche Aktivitäten, als auch das individualisierte Intensivtraining durchführbar und sicher. Um ein intensives Training zu etablieren, sind erfahrene und zertifizierte Trainer, eine professionelle Trainingseinrichtung, Fitness-Tracker sowie Wohnortnähe wichtig. Aufgrund des hohen Anteils älterer Patienten sind erste diagnostische Tests sehr empfehlenswert.
Empfehlungen für Aktivität und Sport mit Hirntumorpatienten
Unter dem Programmpunkt: „QoL/QoD (Quality of life = Lebensqualität)“ wurden in einer Postersession 14 Vorträge für die EANO 2022 ausgewählt. Davon wurde ein Poster der Neurochirurgie des UK Münster präsentiert:
Johanna Jost:
Conceptual development of an intensive supervised exercise program for brain tumor patients: summary of clinical experience
„Ich bin dankbar, dass ich an diesem sehr informativen, anregenden, kurzweiligen und professionellen Meeting teilnehmen durfte. Der rege Austausch mit anderen WissenschaftlerInnen hat mir geholfen, neue Ideen für unsere Forschung zu finden sowie bestehende weiterzuentwickeln. Ich freue mich bereits auf künftige Veranstaltungen und verfolge gespannt die laufenden Projekte im Bereich der supportiven Therapien, die ich kennenlernen durfte.“ (Johanna Jost)
Nachfolgend das Abstract von Johanna Jost
Autoren: J. Jost, R. Brandt, U. Altuner, M. Müther, W. Stummer, K. Völker, R. Wiewrodt, D. Wiewrodt
Several studies have identified beneficial effects of physical activity on reducing cancer-related symptoms. However, the number of such studies in neuro-oncology is limited, and even today, brain tumor patients are often advised against physically strenuous exercise. Here we summarize our experience with an individualized training program in brain tumor patients over a period of more than 8 years.
Patients with primary brain tumors were invited to participate in the individual training program as part of the psycho-oncological consultation. If interested and free of major comorbidity, a professional sport scientist/diploma coach individualized two 60-minute sessions/week adapted to the patients’ respective symptoms and trained them on a 1:1-basis. One session consisted of bicycle ergometry at an average workload of 75% of the max. age-adjusted heart rate (up to 95% at peak; continuous monitoring throughout entire session), the other session was progressive whole-body resistance training based on 10 separate, but standardized exercise tasks using the university’s training facilities. Both training sessions were complimented by challenging elements to improve coordination. Exercise tasks were adapted as needed, and exercise levels were enhanced over time, if possible.
From 2011 to 2019, 45 patients (19 women, 26 men) aged 20-76 years (mean 49) with different tumor types (65% high-grade gliomas, 22% low-grade gliomas, 13% other) participated in the program. The majority of patients started the program following concurrent radio-chemotherapy and in parallel with adjuvant systemic therapy. On average, 41 training sessions were performed. No training-related adverse events (e.g., falls, head pain, etc.) occurred during the entire period. In a total of 1828 training sessions, two minor epileptic seizures occurred (1 speech arrest; 1 simple focal seizure, left hand affected). Both patients were familiar with the respective type of seizure before entering the program and training could be continued immediately, with reduced intensity. Seizures did not reoccur during subsequent training sessions.
This supervised intensive physical training program with submaximal exertion zones was feasible, safe, and highly rated by all participants. Based on these experiences and the reported well-being of the patients, we launched a prospective oligocentric study to objectify the improvements in physical performance and quality of life in patients with glioblastoma (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT05015543).